Lettlands Wirtschaft boomt - "Auslandsletten" investieren

Die "alten" Möbel haben bei der jungen Generation keine Zukunftschancen. Ein neuer und vor allem junger Stil ist gefragt, der dann von Anbietern außerhalb Lettlands angeboten wird

L-infos/fr – Die Wirtschaftsprognosen für Lettland sehen gut aus, sie lassen auf ein weiteres Wachstum hoffen. In diesem Jahr wurde zum ersten Mal die 1000,- Euro Marke beim durchschnittlichen monatlichen Einkommen „geknackt“, die Swedbank stellte vor wenigen Tagen einen sich verstärkenden Mittelstand – nicht nur in Lettland, sondern im gesamten Baltikum – fest, was letztendlich nichts anderes bedeutet, als dass die privaten Einkommen weiter wachsen. Wachsende Einkommen erwecken Konsumwünsche, was wiederum – wenn eine Marktwirtschaft funktioniert – die „Erfüller“ dieser Wünsche auf den Plan, in das Land, rufen. IKEA ist nur einer der „Wunscherfüller“, Lidl baut schon seine neuen Läden in Lettland und weitere Konsumtempel werden folgen.

IKEA, der Möbel-Gigant aus Schweden, hatte wohl die beste Nase. Jetzt, wo die privaten Neubauten nur so aus dem lettischen Boden schießen, ist IKEA schon da, um die Einrichtungswünsche der Kunden, des neuen und – sehr wichtig – der jungen lettischen Mittelschicht, zu befriedigen. Hier zieht sich der Möbelgigant eine (seine) ganz eigene IKEA-Generation von Verbrauchern heran, die der IKEArisierung des privaten Geschmacks willig folgen werden.

Wie in anderen europäischen Ländern, so wird es auch in Lettland sein: IKEA spaltet die „Möbelgesellschaft“ in zwei Lager. Die einen werden die IKEAs verfluchen und keinen Schritt in einen solchen Möbeltempel setzen, die anderen sehen in dem schwedischen Möbelhaus eine Befreiung vom althergebrachten Einrichtungsstil und die Möglichkeit, sich endlich so einzurichten, wie sie es gerne hätten und auch bezahlen können.

Unsummen werden - von der breiten Öffentlichkeit ungesehen, in einer Art wirtschaftlichen "Grauzone" - in die Sanierung und Renovierung des Altbestandes von privater und öffentlicher Bausubstanz fließen.

Nicht vergessen darf man in diesem Zusammenhang aber auch nicht die Tatsache, dass derzeit in Lettland jede Menge privater Wohnraum renoviert – auf Westniveau gebracht - wird. Das, was keiner groß sieht, erfordert wahrscheinlich auf Sicht gesehen Milliardeninvestitionen, von denen sich nicht nur die Möbelfirmen, besonders hier wohl die Küchenhersteller, eine gehörige Scheibe abschneiden werden, sondern auch die Baustofflieferanten.

Einmal ganz von dem wohl mit Recht als gigantisch anzusehenden Investitionsstau bei der noch vorhandenen maroden und völlig überalterten Häuserbedachung abgesehen, dürften die sich die am Markt befindlichen lettischen Baumärkte über weiter steigende Absätze für Bohrmaschinen, Tapeten, Elektroausstattung – bis hin zu kompletten neuen Badezimmern - freuen.

Man sieht sehr schnell, wer einen Devisenbringer in Schweden, Finnland, England, Deutschland, oder wo auch immer auf dieser Welt, hat

Die gute Laune bei den lettischen Verbrauchern kommt nicht von ungefähr – und schon gar nicht alleinig, oder hauptsächlich, nur aus der lettischen Wirtschaftskraft.

Im Großraum von Riga wird man es wohl weniger finden, aber auf dem offenen Land, in den kleineren Städten und Dörfern Kurlands (zum Beispiel) ist es unübersehbar, ob die Familie, oder einzelne Familienmitglieder, im Ausland arbeiten – und welche Familien dies eben nicht machen. Man braucht sich nur die Fassaden und Dächer der Häuser, die Inneneinrichtung der Wohnungen in den ehemaligen russischen Mehrfamilienhäusern, ansehen, um mit einem Blick zu wissen, ob die Familie einen, oder mehrere, „Ernährer und Devisenbringer“ in Schweden, Finnland, England, Deutschland, oder wo auch immer auf dieser Welt, hat. Natürlich trifft das nicht immer 100%ig bei allen zu, aber in der überwiegenden Mehrheit.

Aus eigener, lettischer, Finanzkraft schaffen es immer noch die wenigsten Letten auf dem Land von Lettland, sich westlich „Luxus“ zu kaufen. Besonders die ältere Generation - nicht unbedingt nur die Rentner - wurden in den letzten Jahren wirtschaftlich abgehängt. Das liegt einfach daran, dass die "reichen Auslandsletten" usw. über ganz andere Einkommen verfügen, als der Daheimgebliebene Lette in Lettland. Da wird dann schon die Renovierung eines Badezimmers zu einem kaum zu schaffenden Kraftaktes, an eine neue IKEA-Küche ist schon gar nicht zu denken.

Da spaltet sich dann schon sehr schnell die lettische Gesellschaft in reiche (Auslandsletten) und arme (Daheimgebliebene) Letten. Dass das eine Gesellschaft auf Dauer nicht problemlos aushält, versteht sich von selber. Wie man dies politisch und gesellschaftspolitisch allerdings - auch nur annähernd - in den Griff bekommen will, ohne dass sich die Letten endgültig in ausgewanderte und zurückgebliebene aufteilen - besser gesagt: aufspalten - ist nicht im entferntesten zu erkennen!

Immobilienbesitz in Lettland wird bei den besser verdienenden „Auslandsletten“ plötzlich wieder "schick"! Man schmückt sich damit, auch wenn man noch gar nicht weiß, ob man zurückkehrt.

Eine nicht unerhebliche Anzahl von „Auslandsletten“ scheinen allerdings nun, nach ein paar Jahren Auslandsaufenthalt, wieder Vertrauen in die Wirtschaft ihres Landes, in Lettland, gefasst zu haben und beginnen in ihrer Heimat zu investieren. Wurden in den ersten Jahren die Anwesen und Wohnungen bei einem Umzug in ein anderes Land von den Ausreisenden fast immer verschleudert, so finden sich heute auf der einen Seite in Lettland kaum noch Käufer für hochpreisige Immobilien und auf der anderen Seite auch keine, die heruntergewirtschaftete Immobilien kaufen wollen.

Zum Anderen scheinen Immobilien in Lettland wieder ihren Reiz zu haben und bekommen, wenn sie gut liegen und ausbaufähig sind, beziehungsweise über einen respektablen Zustand verfügen, einen gewissen Promi-Status, der nicht nur zu Geld gekommenen "Auslandsletten", sondern auch Ausländer dazu bewegen, in Immobilen zu investieren.  Vielleicht denkt der eine oder andere Lette sogar wieder darüber nach, zu einem späteren Zeitpunkt nach Lettland zurück zu kehren, dies vielleicht sogar vor dem Erreichen des Altersgrenze. Einzelfälle soll es schon geben, allerdings bedarf es dazu, wenn es zu einer politisch gewollten größeren Rückzugswelle kommen soll, anderer Rahmenbedingungen, als die derzeitig von den Rückkehrern vorzufindenden.

Im Gegensatz zu den Löhnen, die Lebenshaltungskosten befinden sich schon längst auf Westniveau!

Nichts­desto­trotz, die Arbeitsmarktlage auf dem Land von Lettland ist prekär. Natürlich werden gute ausgebildete Fachkräfte gesucht, vielerorts fehlen schon heute Schlosser, Installateure und Tischler, aber diese werden derzeit nicht nach Lettland zurückkehren, da der Lohnunterschied und die Arbeitsbedingungen z.B. zwischen den westeuropäischen Ländern und dem Heimatland Lettland, einfach noch zu groß sind. Auch die sozialen Absicherungen, Kranken- und Rentenversicherungen und dergleichen, verhindern einen großangelegte Rückreisewelle!

Wenn im Großraum Riga die Löhne auch teilweise bereits 60 bis 70% des westlichen Niveaus erreichen, ist es einfach noch zu wenig, wenn man einmal die Benzin und sonstigen Lebenshaltungskosten in Latvia zugrunde legt. Diese sind nämlich schon längst auf Westniveau. Auch das gesamte berufliche Umfeld, die Weiterentwicklungsmöglichkeiten in Lettland, entsprechen noch nicht ganz den Gegebenheiten z.B. in Belgien oder Schweden!

Auch lettische Investitionen hängen von den politischen Rahmenbedingungen ab. Die Angst vor dem übermächtigen Nachbarn ist in Lettland allgegenwärtig!

Neben den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen spielen aber auch, wenn man an Investitionen und eine mögliche Rückkehr nach Lettland denkt, die politischen eine nicht zu übersehende Rolle. Hier scheinen sich die Letten allerdings recht zögerlich und zurückhaltend zu verhalten. Der blinde Glaube an ein „Besser“ ist nicht zu verspüren – weder bei den "Auslandsletten", noch bei den Daheimgebliebenen!

Natürlich hat die Furcht vor dem übermächtigen Nachbar, Russland, einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Entscheidungen der Investitionen aus dem Ausland. Viele "Auslandsletten" haben aber in den letzten Jahren verstanden, dass ihre Investitionen – ins eigene Haus, oder sonstige Immobilien – in Lettland genauso sicher sind, wie in Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg. Wenn es zu einer militärischen oder sonstigen Eskalation kommen sollte, sind beide Standorte gleichermaßen höchst gefährdet.

Für Investitionen in Lettland spricht allerdings der Umstand, dass man in Lettland noch erheblich mehr für sein Geld bekommt, als vielerorts im westlichen Ausland. Das fängt beim Bauland an, geht über die Baustoffe, bis hin zu den Stundenlöhnen der Handwerker – wenn man denn noch welche bekommt.

Man kann sich als Außenstehender des Eindrucks nicht erwehren, dass die lettische Innenpolitik für die Letten eine Parallelveranstaltung darstellt - die sie nichts angeht!

Innenpolitisch haben "manche" Letten ihre Regierung wohl mehr oder weniger „abgeschrieben“! Die vor wenigen Wochen für die Parlamentswahlen zum lettischen Saeima erzielte Wahlbeteiligung (54,6%) lässt an dem Demokratieverständnis, zumindest einer sehr großen Anzahl von Letten, zweifeln. Allerdings darf man die Schuld daran nicht alleine dem Wähler – oder eben Nichtwähler – anlasten, die politisch herrschende Klasse in Riga und im Land der Letten hat wohl das Ihrige zu diesem miserablen Ergebnis beigetragen. Dass das keine gute Voraussetzung für die in 2019 bevorstehende Europawahl ist, versteht sich von selber!

Das mehr oder weniger „Durcheinander“ und der immense Vertrauensverlust vieler Letten in ihre Innenpolitik, scheint jedoch keinen großen Einfluss auf die Zukunftspläne und somit auf das Investitionsvolumen der Letten zu haben. Innenpolitik scheint in Lettland eine Parallelveranstaltung zu sein – das betrifft nicht nur das Parlament in Riga, sondern setzt sich bis in die kleinen kommunalen Verwaltungen fort! Den „normalen“ Letten, den unpolitischen, interessiert die Politik nicht: er schüttelt den Kopf, regt sich vielleicht sogar noch darüber kurzfristig auf – um dann wieder seinen Geschäften nach zu gehen. Anscheinend gibt es viele - zu viele - unpolitische Letten!

Wenn man bedenkt, dass auf einer – wahrscheinlich nicht ganz repräsentativen - weltweiten Korruptionsskala Lettland (58 Punkte) in der Mitte angesiedelt ist (Deutschland mit 81 Punkten als gut und somit weniger anfällig bewertet), ist das lettische Verhalten zwar aus wirtschaftlicher und politisch/demokratischen Gesichtspunkten nicht zu verstehen, aber vielleicht nachvollziehbar.

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